- Was ist des Studiums Kern?
Die Theologie hat sich in ihrer großen Geschichte nie zu einer eindeutigen Antwort durchringen können, ob sie eine theoretische oder eine praktische Wissenschaft ist. Das ist auch gut so. Sie lebt aus dieser Spannung, und diese macht sie erst interessant. Hoch fliegt die Theologie über den alltäglichen Dingen des Daseins und widmet sich den letzten und großen Fragen. Woher kommen wir, wohin gehen wir, warum sind wir hier? Sie ringt um Antworten im Lichte der christlichen Tradition. Sie stellt sich hinein in den langen Fluss einer Denkbewegung von Menschen, die daran glauben, dass in der Person Jesus Christus das Göttliche in der Welt sichtbar wird, und die sich fragen, was daraus für sie selbst, für das Verständnis von Menschsein, für das Verständnis der Welt folgt. Wie sollen wir leben, wenn in diesem Menschen wirklich das Göttliche erschienen ist?
Darin liegt der praktische Aspekt, der die Theologie immer auch zu einer praktischen Wissenschaft macht. Die Theologen des Mittelalters verstanden unter Praxis Wege zur Gottesschau. Die Aufklärung hat viele Federn gerupft, darunter auch diese. Schleiermacher reagierte und ermäßigte die Theologie zu einer Funktion, die zur Kirchenleitung befähigt. Von der Gottseligkeit zur Kirchenleitung, das ist gewiss ein tiefer Fall, aber zugleich auch eine redliche Selbsterniedrigung der Theologie. Anleitung zur Gottesbegegnung – das überschreitet bei weitem, was Wissenschaft an Universitäten leisten kann und soll. So ist der Kern des Studiums heute, im Lichte der großen Erfahrungen des Christentums Menschen auszubilden, damit sie in Kirche, Schule und Gesellschaft Tür und Tor öffnen, um andere Menschen an den großen Themen des Daseins im Lichte des Christentums teilhaben zu lassen.
- Wie hältst Du’s mit den Sprachen?
Dass man zur Bewältigung dieser Aufgabe gemessen an den akademischen Standards unserer Zeit die wichtigsten Quellen, aus denen das Christentum die Kraft seiner Antworten bezieht, im Original studieren sollte, ist wünschenswert. Dass man sich dazu heute in einigen Fällen bis zu sieben Semester durch Hebräisch, Griechisch und Latein quälen muss, ist hingegen nicht mehr zeitgemäß. Um ein Gespür für die philologische Erschließung von Quellen und die Arbeitsschritte wissenschaftlicher Exegese zu bekommen, reicht es aus, dies an einer biblischen Sprache durchzuexerzieren. Für die beiden verbleibenden anderen, also entweder Griechisch oder Hebräisch und Latein sollte man im Zeitalter von ChatGPT mehr Fantasie aufbringen und nach Wegen suchen, die Studierenden funktionale Sprachkenntnisse vermitteln und originalsprachliche Verifizierungen möglich machen. Theologie ist nicht Philologie. Studierende müssen nicht Platon, Aristoteles, Augustinus, Thomas von Aquin oder Melanchthon im Original lesen, um an den Schatz ihrer Gedanken zu gelangen. Es gibt exzellente Übersetzungen, und wir sollten froh sein, wenn diese gelesen und studiert werden. Und wenn dann noch hier und da ein Blick ins Original möglich ist, um so schöner, um so besser.
- Wie hältst Du’s mit BA/MA?
Bei der Formel BA/MA verlieren in der Theologie oftmals vernünftige Persönlichkeiten die Fassung. Es ist ein Rätsel, woher diese emotionale Aufladung kommt. Sie hat offensichtlich etwas mit Verlustängsten, Vergangenheitsglorifizierung und Zukunftsdepression zu tun.
Natürlich gibt es berechtige Einwände gegen die Bologna-Reform. An ihr ist wahrhaft nicht alles gut, ihre merkantile Grundausrichtung ist sogar ein echtes Übel. Aber die trotzige Ablehnung von Seiten einiger in der Theologie – de facto ist es inzwischen nicht mehr als eine laute Minderheit, das hat der Fakultätentag in Abstimmungsergebnissen gezeigt – ist vergangenheitsorientiert und letztlich destruktiv. Diese Haltung träumt von einer Sonderstellung der Theologie, die sie schon längst verloren hat.
Dieser Verlust ist ein Gewinn. Die guten, alten Zeiten, das hieß auch, 17 und mehr Semester Theologie ohne Plan, ohne Ziel, ohne Struktur. Die Umstellung auf BA/MA hilft, Studierende nicht länger mit einer uferlosen Stofffülle zu erdrücken, die alles eigene Nachdenken im Keim erstickt. Sie gewährt bessere Möglichkeiten, klare Lernziele zu formulieren und das Theologiestudium danach zu ordnen. Zudem ermöglicht die Umstellung, dass sich die Theologie in den Verbund der Disziplinen an den Universitäten integrieren kann. Wenn die Theologie sich in dieses System einbringt und daran mitwirkt, BA/MA-Programme zu verbessern und innerhalb des vorgegebenen Rahmens mehr intellektuelle Freiräume zu schaffen, kann sie am Ende als universitäre Disziplin nur gewinnen. Es erhöht ihre internationale und interdisziplinäre Anschlussfähigkeit und damit auch die Attraktivität des Faches an Universitäten.
Ob es so kommt? Die Theologie in Deutschland ist im Moment nicht reformierbar. Die einzelnen Disziplinen ringen mit ihren Verlustängsten. So wird beispielsweise die Exegese bis zum letzten Blutstropfen um den Erhalt ihrer Stellen kämpfen, obgleich es gemessen an den heutigen Herausforderungen zu viele sind, zu viele jedenfalls in der Art, wie Exegese heute betrieben wird. Der Fakultätentag versinnbildlicht diese Unreformierbarkeit. Auch wenn ihn, wie gegenwärtig, die klügsten und besten Vertreter ihrer Disziplinen leiten, es wird sich dort immer und immer wieder der Chor der Ewig-Gestrigen erheben und noch bis weit über den Jüngsten Tag hinaus über BA/MA oder Magister/Kirchliches Examen diskutieren wollen. Hinter dieser Verzögerungstaktik steckt nichts anderes als der Wunsch, dass alles so bleibt, wie es ist.
Die Idee einer einheitlichen Regelung durch einen Konsens in der Theologie ist tot. Es schlägt die Stunde der Landeskirchen und Fakultäten, die sich auf regionaler Ebene zu mutigen Schritten entschließen und Modellprojekte initiieren können, die gemessen an den heutigen Herausforderungen versuchsweise besser und stärker den Kern der Theologie ins Zentrum rücken. Wer etwas wagt, kann Fehler machen, das ist wahr, wer jedoch nichts tut, gibt auf. Das hat die Theologie nicht verdient.